Yara – wie ein Moment das Leben veränderte

von Mia und Ole Weiss

Überraschend wenngleich nicht unerwartet wurden wir mit dem Tod unserer Cocker-Hündin Leni konfrontiert. Sie wurde zehn Jahre alt, als sie ihren Kampf gegen den Krebs verlor. Am selben Tag, zu der Zeit, als Leni einschlief und über die Regenbogenbrücke ging, stellte die Cocker-Rettung e.V. ein Foto auf ihre Webseite, das dem ersten Anschein nach Leni zeigte. Tatsächlich sahen wir aber eine zu vermittelnde Hündin, die eine frappierende Ähnlichkeit mit Leni hatte.


Uns umschlichen bei der Betrachtung des Inserats ambivalente Gedanken und Gefühle. Waren wir uns nicht darüber einig und wollten per se keinen Ersatz? Und sehnten wir uns nicht auch nach etwas Abstand? Lenis langer Leidensweg hatte auch uns entkräftet. Es erschien uns aber wie eine Art Bestimmung. So hatten wir doch ein freies Körbchen und Platz in unseren Herzen. Und ist es nicht so, dass der Tierschutz genau so funktioniert? Also stellten wir einen Kontakt her.

Yara, wie wir sie später nach der indianischen Göttin des Wassers tauften, war fünf Jahre alt und kam nicht, wie ihre zahlreichen Artgenossen, aus dem Ausland, sondern aus einer unkontrollierten „Zucht“ in Deutschland. Von dort ging sie in einen Single-Haushalt und verlebte ihre ersten Lebensjahre buchstäblich als „Kuschelhund“, bis sie ihren Platz für ein Kind freimachen sollte. In etwa dieser Knappheit sowie drei sachlichen Schnappschüssen hatte man uns ins Bild gesetzt.

Zu allem Überfluss wurde in selbsternannter Weisheit das Schlimmste heraufbeschworen: „Yara, nein, das werdet ihr nicht schaffen“, hieß es aus dem Bekanntenkreis.


Während ich Yara unbedingt eine Chance geben wollte, hatten die Zweifel bei meiner Frau bereits Oberwasser bekommen. Unsere Haltungen Yara gegenüber gingen beinahe diametral auseinander. Nach etwa zwei Wochen fuhren wir dennoch nach Ense um sie abzuholen oder – für den Fall, dass es gar nicht passen würde – nur zu besuchen. Das Cocker-Treffen, das dort stattfand, war aus unserer Sicht eine gute Gelegenheit dazu.

Als wir dort ankamen, wuselten unzählige Schlappohren durch das weitläufige Terrain. Es gab jedoch eine Ausnahme. Es war Yara, die förmlich auf uns zugeflogen kam. Ihre Ohren überholten sie dabei gelegentlich. Fortan wich sie nicht mehr von unserer Seite. Wir entschieden uns für sie! Was in diesen Momenten zu wachsen begann, möchte ich im Folgenden kurz schildern.

Yaras Zustand war erbärmlich. Man gab uns – lieblos, wie hastig zusammengesucht – Yaras vermeintlich wichtigsten sieben Sachen mit. In einer abgewetzten Plastiktüte fanden sich sämtliche Sünden einer Hundehaltung: Trockenfutter mit hohem Zucker- und Farbstoffgehalt, ein verflohtes, viel zu kleines Körbchen, eine rote Kunststoffleine, die das Fell am Hals bereits verfärbt hatte. All das verlangte dringend nach Veränderungen.

Wir ließen Yara bei uns „ankommen“, in ihrem eigenen Tempo, stellten die Ernährung gewissenhaft um und versorgten sie medizinisch. Ihr Fell war vor der Übergabe kurz geschoren worden, da sie verfilzt war. Das zeigten noch einige Stellen sowie die verknotete Rute. Zwischen den Ballen waren die Pfoten aufgrund der starken Filzbildung blutig und Yara humpelte. Hornhaut hatte sie keine, die Pfoten waren hell und rosig, der Bauch ebenso und die Krallen lang – sie schien nicht oft draußen gewesen zu sein. Nach dem Freischneiden bei unserer Hundefriseurin trugen wir sie, da das Laufen auf den wunden Pfoten ihr Schmerzen bereitete.

Ihr Gewicht reduzierte sich mit der Zeit rasch. Sie wurde geimpft, entwurmt und bekam ein verträgliches Flohmittel.


Dass sie gern Auto fuhr, stellten wir schon in Ense fest. Alleine konnte sie jedoch nicht bleiben, bis heute nicht. Wir begonnen damit, sie an Vieles heranzuführen. Da sie aber nie sozialisiert wurde, plagten sie zahlreiche Ängste. Die größte Herausforderung in dem gesamten Spektrum stellte jedoch die Begegnung mit anderen Hunden dar. Yara bellte beinahe alles zusammen, was vier Beine hatte und annähernd nach Artgenossen aussah. Es wird ihr sicherlich nicht gerecht, wenn ich behaupten würde, sie sei aggressiv gewesen. Bei ihr war es eher eine tiefsitzende Angst, die letztlich ihrer großen Unsicherheit geschuldet war.

Wir legten die Hoffnung schließlich in den Einsatz eines Klickers im Training, welcher tatsächlich Mauern der Unsicherheit und Skepsis einzureißen vermochte. Yara erhielt mit dem Training sowohl ein Stück weit Verlässlichkeit als auch unser Vertrauen und maßlose Geduld. Und doch flossen im Zuge dieses steinigen Weges, sie quasi im Nachholverfahren zu sozialisieren, viele Tränen.


Yara war von Beginn an eine besondere Hündin. Mit ihrer ungebrochenen Liebe gibt sie uns Tag für Tag alle Investitionen um ein Vielfaches zurück. Sie überschüttet uns förmlich mit dieser ihrer Liebe. Inzwischen sind weitere fünf Jahre ihres Lebens verstrichen. Aus der einst so desolaten und pausenlos kreischenden Yara ist eine souveräne Hündin geworden, die wir getrost mit ins Büro nehmen können, die sogar den Staubsauger im Halbschlaf ignoriert anstatt panisch auf ihn zu reagieren. Yara bellt nicht wie früher, aber sie bellt. Das ist ein Teil von ihr, den wir akzeptiert haben. Inzwischen spielt sie hin und wieder mit anderen Hunden, zeigt aber auch mal die kalte Schulter oder den virtuellen Mittelfinger, wenn es ihrer Ansicht nach sein muss. Sie ist eine verhaltensoriginelle, überaus liebenswerte Cocker-Hündin geworden, die unsere Leni inzwischen an Jahren überlebt hat. Sie ist unser ganzer Stolz, und vermag es dennoch, uns die Schamesröte ins Gesicht zu treiben, wenn sie wieder einmal unverhofft und kurzfristig in die alten Muster verfällt … Dennoch: Yara bildet gemeinsam mit uns das Kleeblatt des Glücks!